...,daß ich mit Rosen kränze Dein Haupt !
(und wenn ich niederknien – und wenn ich auf eine Leiter steigen müßte!)

Lieber Moritz, liebe Anne,
liebe Anne, lieber Moritz,
liebe Eltern, Geschwister nebst Gefährten, Verwandte, Verschwägerte und Freunde der Brautleute,
liebe Trauzeugen und gleichzeitige hoch offizielle, aber ebenso hoch verdiente Hochzeitsbeauftragte,
liebe Gäste,
sehr verehrte Damen und Herren,



Nicht als Gastgeber, sondern als Vater von Anne bin ich heute gefordert, was für mich vermutlich gar nicht so einfach sein wird. Insoweit bitte ich schon jetzt um Ihr Verständnis, aber vor allem bitte ich Sie um Ihre Aufmerksamkeit für ein karges Viertelstündchen.

Der Verwaltungsakt vom 18.Dezember 1999, ausgeführt wahrlich nach dem Credo eines veritablen deutschen Verwaltungsrechtlers 'der schönste Akt sei der Verwaltungsakt', und das auch noch in Berlin im Ermler Haus von einer in sehr herzlicher Weise engagierten, ja geradezu putzigen Berliner Standesbeamtin, ist heute erhöht worden durch eine feierliche kirchliche Trauung.
Waren bei der standesamtlichen Trauung nur Eltern, Geschwister und Trauzeugen anwesend, die sich im Al Dente zu einem kleinen, aber sehr angenehmen Essen versammelten, so soll heute, so weit wie möglich, dieses unfaßbare Ereignis hier im Schloß Petzow von Ihnen allen so nachdrücklich gefeiert werden, daß es den Brautleuten im besten Sinn ewig gedenkt. Sie alle sind also gewaltig gefordert!

Aber zunächst bin ich als Brautvater an der Reihe, der nicht nur stolz sein darf.

Die Frage, was sagt ein Brautvater eigentlich zu einem solchen Ereignis, hat mich sehr beschäftigt, zumal mir eine solche Pflicht erstmalig auferlegt ist.

Nur Spaß, nur gaité, nur gaité parisienne wie die penetrant- aufdringliche Auftrittsmusik, das kann es doch wohl nicht sein !

Am liebsten würde ich Ihnen die gesetzlichen Regelungen der standesamtlichen Trauung erläutern, dann natürlich mit sämtlichen gesetzlichen Änderungen. Die kirchlichen Pflichten gemäß § 1588 BGB und die Haltung des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Vorschrift sind doch zusätzlich ein heißes Thema. Dabei habe ich noch nicht die Rechtsinstitute des Verlöbnisses und des Kranzgeldes erwähnt. Zum letzteren gibt es sogar eine Entscheidung des Amtsgerichts St.Ingbert, also des Heimatgerichtes von Anne. Für die jungen Juristenkollegen – ich weiß, daß einige anwesend sind – zum Mitschreiben: diese Entscheidung ist veröffentlicht in der Familienrechtszeitung 1987 auf den Seiten 941 ff.

Aber jetzt, wo ich mich so einigermaßen sicher in ein Thema hineinschleiche, sehe ich vereinzelt physische Anstrengungen, um aufkommendes Gähnen zu unterdrücken, was technisch nicht möglich zu sein scheint, ohne die Gesichter verfremdend so zu verziehen, daß der Erkennungsdienst Schwierigkeiten bekommen könnte. Also keine juristische Rede als Festrede!

Mir bleibt also nur, literarisches Gebiet zu betreten, mich von Künstlern inspirieren zu lassen.

Ich habe ein Briefchen vom 18.August 1784 gefunden. Es enthält das Ergebnis eines offenbar langen und intensiven Grübelns eines weltberühmten Mannes. Er hatte seiner fünf Jahre älteren Schwester zur Hochzeit zu gratulieren. Sie hatte sich einen in die Jahre gekommenen, verwitweten Verwaltungsjuristen gewählt, der fünf fast erwachsene Kinder in die Ehe brachte. Obwohl zum heutigen Ereignis gewaltige Unterschiede zu erkennen sind, enthält das Briefchen meines Erachtens wenigstens einen Gedankenansatz, der mir aus der Not helfen könnte, weshalb Sie mir erlauben müssen, das Briefchen auszugsweise wie folgt vorzulesen:

Ma très chère soeur !

Du wirst im Ehestand viel erfahren
Was dir ein halbes Räthsel war;

Bald wirst du aus Erfahrung wissen,
wie Eva einst hat handeln müssen,
daß sie hernach den kain gebar.

Doch, Schwester, diese Ehestands Pflichten
Wirst du von Herzen gern verrichten,
denn glaube mir, sie sind nicht schwer;

doch jede Sache hat zwo Seiten;

der Ehestand bringt zwar viele Freuden,
allein auch Kummer bringet er.

Drum, wenn dein Mann dir finstere Mienen,
die du nicht glaubest zu verdienen,
in seiner üblen Laune macht:
So denke, das ist Männergrille,

und sag: Herr es geschehe Dein Wille
beytag – und meiner bey der Nacht.
Dein aufrichtiger Bruder.

Der Autor spricht in seinem Briefchen nur zwei Themen an: mit dem Hinweis auf den Brudermörder Kain und auf die Männergrillen seine offenbar unüberwindliche Abneigung gegenüber dem zukünftigen Schwager und schließlich als ersten Punkt die Liebe, oder wie Siegmund Freud sagen würde, die Sexualität in der Ehe.

Der Schwager des Autors interessiert mich nun wirklich nicht, mag er hunderte Male Jurist sein. Auch ist Moritz als Gegenstand der Schelte völlig untauglich. In seinem Falle hoffe ich vielmehr, der Sache nach seine Gewogenheit eines verläßlichen und Gott sei Dank jungen Freundes zu gewinnen und zu bewahren.

Es mag Fügung sein - als Thema bleibt allein die Sexualität.


M u s i k e i n s p i e l u n g


Schon wieder meine ich, Gesichtsveränderungen erkennen zu können, die – erneut erkennungsdienst-
lich relevant – darauf abzuzielen scheinen, die Stirn in Runzeln, die Ohren zurück- und die Lippen so spitz nach vorne übereinander verknäult zu legen, daß der Ruf der alten Buddenbrook 'Assez Christian!' laut zu werden scheint.

Offen gesagt, bringe ich dieses Zitat nur, weil ich einen sehr verdienstvollen, lieben Menschen gerade heute erwähnt wissen wollte, der dieses Zitat mir gegenüber gelegentlich verwandte, um mich zur Räson zu bringen. Ich meine die Uroma Port, genannt Nenna. Jeder, der, wie Anne sie kannte, weiß, daß dieses Abschweifen im Falle des Unterlassens unverzeihlich gewesen wäre.

Nun muß ich das von einer Weltberühmtheit übernommene Thema, die Sexualität in der Ehe, mutig angehen. Aber habe ich im Grunde das Thema so verständlich wie möglich nicht bereits abgehandelt, und zwar mit dem Satz, den ich meiner kleinen Festrede voranstellte. Zur Erinnerung:..., daß ich mit Rosen kränze Dein Haupt; in italienisch: ti vo‘ la fronte incoronar di rose.

Dieser Satz stammt – von wem denn sonst – von einem Italiener. Er war, als er diesen Satz schrieb und auch das von mir auszugsweise zitierte Briefchen verfaßt wurde, 35 Jahre alt. Als Hofdichter des österreichischen Kaisers Josef II lebte er an dessen Residenz in Wien bis 1790. Dann wanderte er über England nach Amerika aus, wo er in New York 1838 starb. Sein Name: Abbé Lorenzo da Ponte!

Da Ponte hatte mit Anne und Moritz, vor allem wohl mit Moritz, die Abenteurer- und Reiselust gemeinsam. Moritz hat seine Reisen in grandiosen Farbaufnahmen festgehalten, die nicht nur sein Fernweh und seine Begierde nach Abenteuer dokumentieren, sondern auch Beweis sind für sein wunderbares Talent der Bildgestaltung. Ein Höhepunkt wohl seine Aufnahme zusammen mit dem weltberühmten, amerikanischen Filmschauspieler James Stewart, einem Idol, dem Moritz bis nach Holywood nachgereist ist.

Da Pontes Weltruhm besteht bis heute weiter, allerdings bezieht er sich nur noch auf seine Leistung als Librettist der drei italienischen Opern Mozarts. Kein Geringerer als Wolfgang Amadeus Mozart ist der Autor des Briefchens, das ich Ihnen auszugsweise verlesen durfte und dem ich mein Thema zu dieser Rede verdanke. Mozart war damals, als er seiner Schwester Nannerl, ein wenig Zähne knirschend gratulierte, 28 Jahre alt.

Die gestellte Aufgabe verlangt, daß ein dritter Gigant genannt wird, nämlich der 52jährige Franzose Pierre- Augustin Caron de Beaumarchais, der berühmte Sohn des besten Uhrmachers von Paris, Geschäftsmann, Waffenhändler, Politiker, Geheimer Rat und Emissär, Familienvater, Casanova und , jetzt kommt’s: Anwalt der Autoren und Verleger, Schriftsteller und Bühnenautor. Man nannte ihn allen Ernstes das Salz seiner Zeit und – in meinem Zusammenhang besonders wichtig: den einzigen glücklichen Menschen. Er war überzeugt und verbreitete diese Überzeugung, daß es ohne Wahrhaftigkeit keine Gerechtigkeit und ohne diese keine Freiheit geben könne; im Ergebnis die Grundthese der materiellen Individuation seit der Aufklärung und der französischen Revolution, oder nach 'Burli', so wird der gelehrte Schwiegervater meiner Tochter in seiner Familie liebevoll genannt, wohl seit der Renaissance oder sogar seit der Zeit vor dieser.

Immerhin haben wir für mein Thema drei wichtige Persönlichkeiten zusammen: den 52jährigen Franzosen Beaumarchais, den 35jährigen Italiener Da Ponte und den 28jährigen Österreicher Mozart. Sie merken schon: Europa, also das 'liederliche' Frankreich (heute der eitle Altgaullist Jacques Chirac), das 'bankrotte' Italien (bis vor kurzem der Altkommunist D’Alena) und das 'morbide' Österreich (heute der Rechtsaußen Haider), also Europa (wie bei der Fußballeuropameisterschaft) ohne Deutschland ( heute der immer noch vehement gegen Österreich kämpfende Schröder) muß irritieren.

Es muß also ein Deutscher her, der sich in meinem Thema, wie ich es von Mozart übernommen habe, auskennt. Es gibt vermutlich nur einen: den kleinen Sachsen, der mit lispelnder Stimme pausenlos auf jedermann eingeredet haben soll. Ich meine Richard Wagner, gemeinhin, aber völlig falsch als das Deutscheste vom Deutschen qualifiziert, was aber in der Regel als Abqualifizierung gemeint ist.

Ich möchte nun – und insoweit hoffe ich auf Ihre Geduld – über die Wagner'sche Theorie, das Theater von Mozart/Da Ponte und über die Grundthese Beaumarchais‘ von der Individuation konkret zu einem Event kommen, das alles Gesagte allegorisch, also nicht symbolisch, auf die fokussiert, für die ich mich in erster Linie zu bemühen habe; denn es geht heute ganzzeitig und ganzräumlich um sie und nur um sie, um Anne und Moritz.

Aber auch dieser zweite Teil meiner Rede muß einen persönlichen Rahmen erhalten. Deshalb vorab folgende zeugenschaftlich verbürgte Geschichte:
Meine liebe Frau – ich mußte sie einfach erwähnen -, Anne und Moritz saßen mit mir bei uns im Wohnzimmer und taten das, was wir ohne Diplom sehr gut können: wir zechten und diskutierten. Moritz saß schweigend dabei. In der rechten Hand hielt er zwischen Mittel- und Ringfinger die unvermeidliche brennende Zigarette und gleichzeitig zwischen Daumen und Zeigefinger den Henkel des Bierkrugs. Er hielt immer beides fest, ob er trank oder an der Zigarette zog, was er im Wechsel, weiter schweigend, in fast regelmäßigen Abständen tat. Den Kopf hielt er leicht nach vorne geneigt, als wollte er sich die Faserung des Holzes der Tischplatte genauer anschauen. Anne und ich diskutierten über Gott und die Welt, wobei wir immer lauter wurden und uns in immer kürzeren Abständen gegenseitig unterbrachen. Meine Frau saß nur dabei, um rechtzeitig eingreifen zu können, wenn die Diskussion in offenen Streit umschlagen sollte. An einem Punkt der Diskussion platzte mir dann auch der Kragen und ich sagte ziemlich entnervt und laut: 'Herrgott noch einmal, man kann sagen, was man will, die ist einfach zu gescheit'. – Alle waren verblüfft: meine Frau eher erheitert, endlich den Moment zum Einschreiten vor sich zu sehen, Anne stockte in ihrer Rede, ich hatte gerade meinen vom Tisch weg gedrehten Kopf wieder den Gesprächspartnern zugewandt, als Moritz langsam und in großer Ruhe seinen Kopf hob, immer noch Bierkrug und Zigarette in der rechten Hand technisch kompliziert verklammert, und jeden Widerspruch verbietend verkündete: 'und vor allem ist sie sehr schön!'

'Domit ist alles geschwätzt' sagt der Saarländer.

Dennoch jetzt noch schnell mein kleiner Gedankenflug bis hoch hinauf zum geplanten Event!

Der 30jährige Wagner hat mit seinem 'Tannhäuser' zwei Geschichten verquickt: den Venusberg und den Sängerkrieg. Den Venusberg , so hat er entgegen ursprünglicher Absicht wegen des entstandenen Gelächters seine Oper nicht genannt, vollendete er später im 'Parsifal', den Sängerkrieg im 'Ring', so daß der 'Parsifal' inhaltlich eigentlich der zweite resignative Teil des 'Rings' ist. Mit der 14stündigen Ring- Tetralogie befaßt sich Wagner mit nichts anderem als mit der Tragödie der Politik, die, so Wagner, abgewirtschaftet hat, und dies zu einer Zeit, als die Demokratie als Staatsform gerade erst so um 1848 jedenfalls in unseren Breiten angedacht wurde.

Wagner lebte von der Illusion, an die Stelle der Politik das Gesamtkunstwerk, ein eigenständiges und völlig neues Konzept der künstlerischen Dramaturgie setzen zu können. Kurz gesagt: die äußere Handlung sollte über Widerspruchsebenen so erzählt werden, daß die innere Handlung für jeden Rezipienten in der Weise deutlich wird, daß er sich entsprechend seinem Horizont ein eigenes Bild machen, also seine ureigene Meinung bilden kann. Keine Indoktrinierung, kein Einbleuen von mehr oder weniger unsinnigen Ideologien, dafür aber im radikal demokratischen Sinn eigene und unabhängige Meinungsbildung durch die Rezipienten, die Wagner als Gattung leider Volksgemeinschaft nannte, statt Solidargemeinschaft, was sie in der Tat ist.

Das von Wagner auf diese Weise verfolgte politische Ziel ist mit der schon angesprochenen Grundthese der Individuation eines Beaumarchais synchron. Der Denkansatz von allem ist die These, daß die Welt ambivalent und nur ein Teil des Denkens nach der paradoxen Logik dialektisch ist. Im Falle der Dialektik gilt nicht, was real existiert, sondern das, was nach der Denkmethode zu erkennen ist, mag es auch mit der Realität nichts zu tun haben. Beispiel: die Theorie des Kommunismus, die das genuine Streben des Menschen nach Leistung kurzer Hand in Abrede stellt. Die Realität der Ambivalenz zeigt sich in der Widerspruchsebenen. Erich Fromm spricht in seinem grandiosen Bestseller 'Die Kunst des Liebens' von Polaritäten.

Alles dies mußte ich sehr verknappt darlegen, um zu meinem Event zu kommen. Um die Sache plastischer zu machen: Stellen Sie sich ein Lineal vor, an dem am einen Ende ein roter und am anderen ein grüner Punkt aufgebracht ist, wobei der rote Punkt für Venusberg, also für Wollust, und der grüne Punkt für eheliche Liebe, also für den Sängerkrieg über das wahre Wesen der Liebe steht. Wenn ich jetzt dieses Lineal um seine Mitte wie die Erde um ihre Achse immer schneller rotieren lasse, werde ich nach und nach keinen roten und keinen grünen Punkt mehr sehen, sondern einen Kreis, der die Komplementärfarbe von rot und grün tragen dürfte, also eine Art von graubraun. Wollust und eheliche Liebe, was immer man abstrakt definitorisch darunter verstehen will, sind also nicht mehr unterscheidbar. Sie sind dem überlassen, der das Lineal in der Mitte dreht. So wird die Liebe oder die Sexualität demokratischer Gegenstand jedes einzelnen, der aber in freier Entscheidung akzentuieren, also gestalten muß.

So steht’s auch in der Bibel, die – wie später Wagner in seinem Gesamtkunstwerk – gleichnishaft erzählt. Alles ist richtig, wie es der Rezipient versteht und wie er es in sein Lebenskonzept und natürlich in das Regelkonzept der Gesellschaft einzubauen versteht. Seit dem Sündenfall gibt es – ich muß sagen endlich – die wichtigste Widerspruchsebene, nämlich die zwischen Mann und Frau. Wie vom Blitz getroffen erkannten Adam und Eva (von ihr war schon die Rede), was sie zuvor völlig übersahen, daß sie nackt waren und – sie schämten sich. So begann das ganze Elend, das wir Weltgeschichte nennen!

Auf Dauer konnte die paradiesische Langeweile zu nichts führen. Das System der Widerspruchsebenen, also das der Ambivalenz, ist dagegen zu sehen als ein Synonym des Perpetuum mobile. Es ist ein perfekter Schöpfungsplan, der von den Menschen Gestaltung, also eigenverantwortliches Handeln verlangt. Der Schöpfer, einmal tätig gewesen, kann keinen Fehler mehr begehen, er ist nun unfehlbar. Der Mensch, der handeln muß, kann bei jedem Handeln Fehler machen und er macht sie auch. In der Widerspruchsebene zwischen Mann und Frau muß deshalb oberstes Gebot sein, daß beide – auf welchem Gebiet auch immer – ihre Gestaltungsaktionen aufeinander abstimmen, möglichst synchron erleben und jeder jeweils auf den anderen Rücksicht nimmt.

Glaube an sich selbst wie Mut zu offener Aktion sind ebenso wichtig wie respektvoll demütiges Denken. Durch den Glauben entsteht Liebe oder tiefste Wertschätzung, durch den Mut ist die Hoffnung garantiert. Das christliche 'Glaube, Hoffnung und Liebe' wird damit zur elementaren Gestaltungsregel, mag der heutige Voyeurismus einer Big-Brother- Welt, eine schlimme Nutzung menschlicher Schwächen und Unzulänglichkeiten durch geldgierige Medienmogule, auch noch so erfolgreich anderes suggerieren wollen.
Man könnte alles dies im Werk Richard Wagners nachweisen, insbesondere daß die Sexualität entsprechend der menschlichen Natur – vielleicht neben dem Selbsterhaltungstrieb, dem deshalb genuinen Egoismus - den Menschen definiert. Läßt er sich in der Gestaltung von der Wissenschaft, der Kunst und von der Religion sowie von seinem natürlichen Potential an Liebe und Liebebedürftigkeit nicht führen, dürfte er auf irgendeine Weise verloren sein. Genau das ist das Thema der inneren Handlung des 'Parsifal', der dem die Tragödie der Politik behandelnden 'Ring' als zweiter Teil folgt, wie ich schon ausgeführt habe, und das auch noch resignativ, weil die Tragödie der Politik auch die Tragödie im Leben des einzelnen sein muß bei der vorgegebenen Machtkonstellation. Das sollte man wissen und sich durch die Politik nicht in seinem menschlichen Streben herunterziehen lassen.

Um den Menschen vom Bereich des Göttlichen abzugrenzen, sei noch auf ein Zitat aus dem Venusberg des Wagner'schen 'Tannhäuser' verwiesen: Tannhäuser zu Venus:
Wenn stets ein Gott genießen kann,
bin ich dem Wechsel untertan;

Nicht Lust allein liegt mir am Herzen,
aus Freuden sehn' ich mich nach Schmerzen.

Leider muß ich Ihnen Schmerzen zumuten, indem ich diesen kleinen politischen Exkurs zu Wagners Denken abbreche; aber, ich bitte um Verständnis, mein Ziel ist weiter zu verfolgen in Richtung Event und leider habe ich Ihre Geduld schon über Gebühr beansprucht.

Jetzt kommen wir schnell wieder zurück auf Europa mit dem Franzosen, dem Italiener und dem Österreicher, und dies ohne die Quizfrage zu stellen: was haben diese drei gemeinsam? Wir wissen es längst: wir verdanken diesen drei Genies das Welttheater der Liebe, nämlich den Geniestreich ohnegleichen auf der Entwicklungslinie der Individuation, das wie die Schöpfungsidee unsterbliche Meisterwerk 'Le mariage de Figaro ou La folle journée', 'Le nozze di Figaro', 'Die Hochzeit des Figaro'.

Mit dem Theaterstück 'Der Barbier von Sevilla' hat Beaumarchais die Figur des Figaro erfunden. Damals sagte man in Frankreich zu Sohn nicht fils, sondern fi. Man sprach also das 's' nicht mit. Aus Fi de Caron wurde Figaro, aus dem Uhrmacher der Frisör.
Im 'Barbier', später vertont von Rossini, gelingt es Figaro, Rosina, das Mündel des Dr.Bartolo, für den Grafen Almaviva zu gewinnen.

Rosina wird in der 'Hochzeit des Figaro' zur Gräfin, Figaro zum Kämmerer des Grafen, Susanna zur Zofe der Gräfin. Der Graf, in der Ehe mit der Gräfin promiskuitär geworden, sieht in der Wiedereinführung des im Zuge der Individuation abgeschafften Rechts des primae noctis (für die, deren Sexualität in einer zu großen Keuschheit gipfelt, um zu wissen, was das ist: das Vorrecht (natürlich nur) des Mächtigen, als erster mit jeder Braut des Landes das Bett zu teilen) der Graf sieht also in diesem ius primae noctis die einzige Chance, auch die sich wehrende Susanna für seine wollüstigen Pläne zu gewinnen. An diesem tollen Tag, der zugegeben dem heutigen nicht entspricht, geht es nun darum, daß das Brautpaar die Pläne des mächtigen Grafen unterläuft.

Im vierten Akt nach ungeheurem Trubel in diesem Welttheater der Liebe, das mit genuin begabten Akteuren besetzt ist, wie der in der Ehe lüstern gewordenen Gräfin, dem vor Sehnen nach allem Weiblichen vergehenden, pubertären Cherubin, der kindlichen Ausgabe des Grafen, dem intrigierenden Loser Basilio und – auf dem Altenteil Dr.Bartolo und Marceline, die sich als Eltern Figaros erkennen und damit zeigen, zu welchen gewaltigen Folgen menschliches Gestalten führen kann – dazwischen der Graf, auftrumpfend, aber immer gehindert, wenn er glaubte, am Ziel zu sein – nach diesem ungeheuren Trubel und – vor der Erkenungsszene wie der Auflösung im Menschlichsten vom Menschlichen, in dem 'Contessa, perdono', dem 'Verzeiht mir, Gräfin' des verirrten Grafen baut Wolfgang Amadeus Mozart, verheiratet, aber dennoch verliebt in die Sängerin der Susanna, ein Extempore in nobler Melodie von restloser Schönheit ein, dessen ganze Weisheit man nur erahnen, aber nie erfassen kann, die aber, wie ich meine, den Rezipienten – wie Beaumarchais für seine ganze Zeit – wenigstens für einen Moment zum glücklichsten Menschen machen kann, wenn er nur einmal genau hinhört. Ich rede von der Rosenarie, von dieser glanzvollen Demut des Höhepunkts eines inneren vollkommenen Welttheaters der Liebe, von diesem Sehnen '..., daß ich mit Rosen kränze Dein Haupt!'

Ich bitte, den Text in deutscher und italienischer Sprache jedermann im Auditorium zur Verfügung zu stellen, damit jeder ihn beim Hören der Arie mit verfolgen kann und erlebt, wenn Susanna in des Mondes Silberfackel, bei des Westwinds Säuseln, des Baches Rieseln, im Duft der Blumen, beim Anblick bunter Wiesen, bei Ruh‘ und Frieden in musikalisch und damit in der Dichte ihres Sehnens abgestuften Ausdrucksfarben ihr 'komm doch, mein Trauter' an den richtet, der sie nicht hören kann.

Ich habe versprochen, allegorisch, nicht symbolisch, dieses Geschehen konkret zu machen. Deshalb habe ich einen kleinen Fundus von Rosen, gelben und roten, zusammen stellen lassen, Rosen, die aus Andreas (Annes wundervoller Schwiegermutter) Rosengarten stammen müßten. Und nun das versprochene Eventum: ich bitte Fritzi und Alexander sich zu Andreas Rosengarten zu begeben, wo ihnen je 7 rote Rosen überreicht werden; Fritzi übergibt ihre 7 Rosen ihrem Bruder Moritz, Alexander die seinen seiner Schwägerin Anne; dann bitte ich Marijke und Walter, je sieben gelbe Rosen zu überreichen, und zwar Marijke an Moritz und Walter seiner Schwester.

Nun sind die Endpunkte des Lineals fixiert, das Anne und Moritz vollen Sehnens, aber auch mit Vernunft gemeinsam drehen sollten. Denn 'Mann und Weib, und Weib und Mann, reichen an die Gottheit an', wenn sie nur Liebe fühlen, so definiert nicht der, sondern inzwischen unser unsterblicher Mozart in seiner 'Zauberflöte' über die vollendete Geliebte Pamina und den Naturburschen Papageno, der ausdrücklich betont, daß Weisheit nicht seine Sache sei, die von mir zu Anfang angesprochene Unfaßbarkeit des Ereignisses.
Meine Frau und ich, die wir auch nach mehr als drei Jahrzehnten immer noch das Lineal drehen, und Sie, wie ich annehmen darf, wünschen dem Brautpaar von Herzen beim gemeinsamen Gestalten alles Glück dieser Welt.

Es wäre nicht zu verantworten, würden wir auf die Stimme Mozarts verzichten. Deshalb jetzt zum Abschluß die unvergleichliche Reri Grist als Susanna mit dem New Philharmonia Orchestra London unter der Leitung von Otto Klemperer, wobei ich bitte, unter allen Umständen den Ihnen vorliegenden Text mit zu lesen, damit jeder von Ihnen für einen Moment der glücklichste Mensch der Welt sei.





TEXTE:

Komm doch, mein Trauter,

daß ich mit Rosen kränze Dein Haupt !

(und wenn ich niederknien – und wenn ich auf eine Leiter steigen müßte !)


Text von Rezitativ und Arie der Susanna (Rosenarie) Musiknummer 27 aus Wolfgang Amadeus Mozart „Le nozze di Figaro“ (‘Figaros Hochzeit‘), opera buffa (nach Mozarts eigenhändigem Verzeichnis) oder commedia per musica ( nach dem ersten Druck des Librettos) – Köchel – Verzeichnis 492, im italienischen Original, so wie ihn Lorenzo da Ponte für Mozart nach dem Lustspiel „Le mariage de Figaro ou La folle journée“ von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais schrieb. Der deutsche Text daneben entstammt einer früheren Übersetzung, die – mit kleineren Abänderungen – auch heute noch bei deutschsprachigen Aufführungen Verwendung findet.



Rezitativ (1 Minute, 20 Sekunden)


Giunse alfin il momento

Endlich naht sich die Stunde,

che godrò senza affanno

wo ich dich, o Geliebter

in braccio all’idol mio;

nun ganz besitzen werde.


timide cure,

Ängstliche Sorgen entfliehet,

uscite dal mio petto

weicht auf immer!

a turbar non venite

störet nicht die Freuden

il mio diletto.

meines Herzens.


Oh come par che

Ha, um mich her scheint

all’amoroso foco

alles mir so heiter,

l’amenità del loco,

Hesperus1 blickt so

la terra e il ciel risponda!

freundlich auf meine Liebe;


come la notte

komme doch, mein Trauter !

i furti miei seconda !

Stille der Nacht, beschütze uns.




Arie (2 Minuten, 55 Sekunden )


Deh vieni, non tardar

O säume länger nicht

o gioia bella,

geliebte Seele !

vieni ove amore per goder

Sehnsuchtsvoll harrt deiner

t’appella,

hier die Freundin;

finchè non splende in ciel

noch leuchtet nicht des

notturna face

Mondes Silberfackel,

finchè l’aria è ancor bruna

Ruh‘ und Friede herrschen

e il mondo tace.

auf den Fluren.

Qui mormora il ruscel,

Des Westwinds Säuseln und

qui scherza l’aura,

des Baches Rieseln

che col dolce sussurro il cor

stimmen jeden Nerv zur

ristaura.

Entzückung.

Qui ridono i fioretti e l‘erba

Die Blumen duften auf den

è fresca;

bunten Wiesen;

ai piaceri d’amor qui tutto

alles lockt uns zu Liebe,

adesca.

Freud‘ und Wonne,

Vieni, ben mio,

Komm doch, mein Trauter!

tra queste piante ascose

Lass‘ länger mich nicht harren,

vieni, vieni

Komm doch, mein Trauter,

ti vo‘ la fronte incoronar di rose !

daß ich mit Rosen kränze dein Haupt !



Vorgetragen von Reri Grist und dem New Philharmonia Orchestra London

unter der Leitung von Otto Klemperer ( 1970)